Anisokorie nach einem Sturz

Notfälle am Auge - Gehirnerschütterung

Notfälle am Auge - Anisokorie nach einem Sturz

Einleitung:

Unterschiedliche Pupillengrößen (Anisokorie) sind das Leitsymptom der efferenten Störung der Pupillenbewegung. Die efferent gestörte Pupille kann die größere als auch die kleinere Pupille sein. Die pathologische Pupille kann daran erkannt werden, dass sie sich langsamer und weniger ausgiebig verengt als die funktionstüchtige Pupille oder gar keine Reaktionzeigt (absolute Pupillenstarre). Efferente Störungen treten durch Schädigungen der efferenten Nervenfasern vom zentralen Nervensystem über den dritten Hirnnervenzur Iris auf. (1)

Anamnese:

Eine Bewohnerin aus dem benachbarten Seniorenheim meldet sich für ein kurzes Gespräch an. Die 84- jährige Rentnerin berichtet über einen sanften Sturz in ihrem Wohnzimmer am vorangegangenen Abend. Sie ist gestolpert und mit dem Kopf auf den dicken Teppich gefallen. Dabei scheint ihr nichts passiert zu sein. Lediglich die Augen sehen seit heute Morgen etwas anders aus.

Bild 1: Anisokorie – unterschiedliche Pupillengrößen

Medikamentenanamnese:

Medikamente für: -Blutverdünner ß-Blocker, Blutdrucksenker

Familienanamnese:

 -  Bluthochdruck

Letzter AA Termin 2/ 2019: alterstypischer Normbefund

Symptomeund Befunde:

Visuelles System

 - Gleitsichtbrille 1/2016

 - juvenile Exotropie mit alternierendem Sehen

 - keine Doppelbilder

 - leichtes neblig Sehen mit dem rechten Auge

 - Anisokorie nach Sturz auf den Kopf (Bild 1)

 - leichte Kopfschmerzen

 - erhöhte Lichtempfindlichkeit

OptometrischeMessungen:

Führungsauge: OS

Pupillenreaktionstest

- OD: efferente Nervenbahnen: Störung – pathologisch

- OS: efferente Nervenbahnen: unauffällig

- OU: kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) - (Swinging-Flashlight-Test)

Nachfrage bei der Kundin: diagnostische Fragen zum Ausschluss eines Schlaganfalls

- kein Schwindel, keine Übelkeit, kein Erbrechen

- keine feinmotorischen Störungen und Gangunsicherheit, keine Angstzustände, kein Herzrasen

Aktueller Visus mit vorhandener Brille:

 - Ferne R: sph -1,25 cyl +1,50 A   72° Vcc 0,6

               L: sph -0,75 cyl +0,75 A 114° Vcc 0,8

 - Nähe: Add.2,75                                  VccR 0,5 / VccL 0,6+

Augeninnendruck (IOP) 10.45 Uhr - NCT

- OD: 14,6 mm/Hg - OS:  13,2 mm/Hg - Cup to Disc Ratio: 0.3 OU

Bild 2: Augenhintergrund des rechten Auges

Auf dem Netzhautbild ist eine deutliche Papillenrandblutung des rechten Auges zu erkennen.

Aufgrund der beiden pathologischen Befunde (Anisokorie und Papillenrandblutung) wurde auf weitere optometrische Untersuchungstechniken verzichtet.

Diagnose:

OD: Venenastverschluss mit Papillenrandblutung- Zufallsbefund

OS: reizlos

Die Kundin leidet an einem Venenastverschluss des rechten Auges.

Das ist aber nicht die Ursache für die Anisokorie. Die efferent gestört Pupille (OD) wird bei direkter Beleuchtung weniger eng. Da hier die afferente Fortleitung nicht gestört ist, reagiert die nicht erkrankte Seite konsensuell. Sie wird enger bei Beleuchtung der erkrankten Seite.

Behandlung:

Wir haben sofort den Hausarz tder Kundin von der Situation unterrichtet. Daraufhin wurde diePatientin mit einem Krankenwagen in die nahe gelegene Unfallklinik gebracht.

Informationen vom Hausarzt:

Die Kundin hat durch ihren Sturz ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma (Commotio cerebri– Gehirnerschütterung) erlitten. Sie wird jetzt durch die Klinik vor Ortbetreut.

Diskussion:

Das Schädel- Hirn-Trauma ist ein Sammelbegriff für alle Schädelverletzungen mit Gehirnbeteiligung. Mit einer jährlichen Inzidenz von circa 800:100000 Einwohnern, gehört es zu den häufigsten Todesursachen bei jungen Menschen unter 40 Jahren – die Hauptursache ist dabei der Verkehrsunfall.

Bei allen Schweregraden von Schädel-Hirn-Traumen können oft Spätfolgen auftreten. Dazu zählen Lähmungen, Krampfanfälle oder psychische Veränderungen.

Diagnostische Leitsymptome des Schädel-Hirn-Trauma sind:

- Unspezifische: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit mit schwallartigem Erbrechen, Hörstörungen

- Bewusstseinsstörung: Kardinalsymptom - diffuse Störung der Hirnfunktion

- Amnesie: Erinnerungslücken

- neurologische Ausfälle: Halbseitensymptome, Pupillenstörung, Hirnnervenausfälle

- Verletzungen: Prellungen, offene Wunden

- Krampfanfälle, Hirndruckzeichen

Bei begründetem Verdacht auf eine Gehirnerschütterung müssen sofort der Hausarzt bzw. der Notarzt informiert werden. (3)

Die Anisokorie ist das Kardinalsymptom der Pupillotonie – Störung der efferenten Pupillenrektion. Dabei ist die Pupille des erkrankten Augesvergrößert und reagiert nur eingeschränkt auf Licht. Die Betroffenenbeschreiben eine gesteigerte Blendempfindlichkeit ohne weitere Beschwerden. Als Ursache für die Anisokorie ist die Schädigung der parasympathischen Nervenfasern des Ziliarnerv verantwortlich.

Eine Störung des Parasympathikus hat den Ausfall des Musculus sphincter pupillae zur Folge, was sich in einer weiter geöffneten Pupille auf der betroffenen Seite äußert. Dabei sind sowohl die Licht- als auch die Nahreaktion des betroffenen Auges ausgefallen oder reduziert. Die Pupille des betroffenen Auges verengt sich nicht bei Belichtung des gesunden Auges, es liegt also keine konsensuelle Pupillenbewegung vor. Der Nahreflex und die Lichtreaktion des gesunden Auges sind nicht gestört. Die Öffnung der Pupille erfolgt über die sympathischen efferenten Nervenfasern. Sie entspringen dem Zwischenhirn und ziehen abwärts entlang des Rückenmarks bis zum Ganglion cervicale superior. Danach ziehen sie aufwärts außerhalb des Rückenmarks, entlang der inneren Halsschlagader bis zu der Orbita. Dort schließen sie sich dem Verlauf des VI. Hirnnerv (N. Abducens) und später dem oberen Ast des V. Hirnnervs (N. trigeminus) an. Innerhalb der Ziliarnervenziehen sie bis zur Iris.

Weil die sympathischen Nervenfasern einen langen Weg bis zur Pupille zurücklegen und sie dabei mehrere anfällige Strukturen passieren, gibt es eine Vielzahl ernst zunehmender Ursachen für eine Miosis.

Das Gehirn sendet nur dann einen Impuls zur Pupillenverengung aus, wenn eine bestimmte Reizschwelle überschritten wird. Damit dieser Reiz auch in den Steuerzentren für die Regelung der Pupillengröße ankommt, muss er einerseits von den lichtempfindlichen Rezeptoren der Netzhaut ausgelöst und andererseits von den Axonen der Ganglienzellen hin zum Gehirn weitergeleitet werden. Die afferenten Bahnen verlaufen im vorderen Abschnitt der Sehbahn. Erst kurz vor den zum Zwischenhirn gehörenden seitlichen Kniehöckern verlassen die Fasern für die Pupillenmotorik den optischen Trakt und ziehen zu den Schaltzentren für die Pupillenmotorik. Schäden der sensorischen Netzhaut, der Nervenfaserschicht, der Papille oder des Sehnervsbeeinträchtigen somit nicht nur die Weiterleitung der Bildinformation, sondern auch die Weiterleitung des Impulses zur Auslösung der Pupillenreaktion. (1,2,4)

Norm:              Differenz der Pupillenweiten nicht größer als 0,5mm

Pathologisch: Das Leitsymptom der efferenten Störung ist die Anisokorie

                       Die rein afferente Störung weist keine Anisokorie auf!

Prüfung der Lichtreaktion:

1. Afferenz der Lichtreaktion: Rezeptoren - retinale Ganglienzellen, N. opticus, Tractusopticus, prätektaler Kernkomplex, beide Edinger-Westphal-Kerne

2. Efferenzder Lichtreaktion: parasympathischer Edinger-Westphal-Kern, N.Oculomotorius, Ganglion ciliare, kurze Ziliarnerven, Irissphinkter und Ziliarkörpermuskulatur (4)

Fazit:

Notfälle am Auge frühzeitig erkennen, die Situation korrekt einschätzen und richtig handeln, liegt heute auch in der Verantwortung der Augenoptiker und Optometristen.

Bilder: Randy Freitag

Literatur:

1.     M. Friedrich, S.Degle, H.-J. Grein, Optometrische Funktionsprüfungen, DOZ Verlag, 1. Auflage, 2011

2.    A. Berke, Optometrisches Screening,DOZ Verlag, 2009

3.    E. Bierbach, Naturheilpraxis heute,Urban & Fischer, 4. Auflage, 2009

4.    A. Burk, R. Burk, ChecklisteAugenheilkunde, Thieme Verlag, 2. Auflage

Autor:

Randy Freitag

– GermanEyeCare –

Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrumim Markgräflerland

EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker

veröffentlicht:Deutsche Optikerzeitung -