Anpassung einer “Feuchten Kammer” bei myelozytischen Leukämie

Anleitung zur Montage einer Feuchten Kammer

Anpassung einer “Feuchten Kammer” bei Leukämie

Anamnese:

Der Fall, über den ich heute berichten möchte, begann mit einem Anruf der Uniklinik Freiburg. Angekündigt wurde der Besuch einer Patientin aus der Abteilung - Tumorbiologie. Die Patientin ist 42 Jahre alt und hat vor 2 Wochen eine Stammzellen-Transplantation erhalten. Diese Therapie war notwendig, weil die Patientin an einer akuten myelozytischen Leukämie (AML) erkrankt ist.

Bild 1: feuchte Kammer einer Kunststoff-Fassung

Leukämie ist eine bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen, bei der sich die Leukozyten unkontrolliert vermehren. Dabei gelangen diese funktionsunfähigen Zellen ins Blut und setzen sich in den verschiedenen Organen ab. Damit werden auch die Stammzellen im Knochenmark verdrängt. Zu den systemischen Veränderungen gehören: Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Fieber. Durch die entstehende Anämie kommt es oft zu Müdigkeit, Schwäche und Kurzatmigkeit bei körperlicher Anstrengung. Oft neigen die Patienten zu Hämatomen, Blutungen und Thrombose. Diese Plaques und Blutungen (Roth Fleck) sind möglicherweise am Fundus zu erkennen. Eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs ist oft durch eine Behandlung mit Zytostatika und Interferon, Chemotherapie in Kombination mit Antihistaminika und Knochenmarkstransplantation zu erzielen. Viele Antihistaminika haben antimuscarine Nebenwirkungen. Sie üben damit eine hemmende Wirkung auf das parasympathische Nervensystem aus. Daraus kann eine verringerte Tränensekretion, Akkommodationslähmung und Mydriasis resultieren.

Auswirkung auf das Sehen:

Bei bis zu 70% aller Leukämiepatienten können Orbita, Konjunktiva, UVEA und die Retina betroffen sein. Die Veränderungen sind auf die reduzierte Anzahl an roten Blutplättchen zurückzuführen. Hier stellen vor allem Infektionen die größte Gefahr dar. Aber auch Infiltrationen können zu einem Exophthalmus, Ptosis und Augenbewegungsstörungen mit Doppelbildern führen. Weiterhin können ein sekundäres Sjögren-Syndrom, Anisokorie, Heterochromie und ein lachsfarbenes Aussehen der Bindehaut auffällig sein. Bei unserer Kundin wurde eine Knochenmarkstransplantation durchgeführt. Kombiniert mit einer Chemotherapie und Gabe von Antihistaminika. Welche zu einem vermehrten Untergang der Becherzellen und vorher schon zu einer Entzündung der Haupttränendrüse (Dakryoadenitis) geführt hat. Seither ist die Kundin auf ständiges Tropfen von Tränenersatzmitteln angewiesen! Dazu klagt Sie über eine sehr starke Blendempfindlichkeit.

Unsere Hilfestellung: Anpassung einer “Feuchten Kammer”

Beschreibung: Die “Feuchte Kammer” ist eine Kunststofffassung, auf deren Rückseite Plattenmaterial aufgekittet wird. Dieser Kunststoff wird individuell anatomisch, dem jeweiligem Kunden angepasst. So dass beim Tragen der Brille ein feuchtes Niveau, ähnlich einer Schwimmbrille, entsteht. Damit lindern wir die Auswirkung des Sjögren-Syndroms.

Bild 2: feuchte Kammer an einer Sonnenbrille

Augenglasbestimmung:

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die große Bedeutung einer sensiblen Anamnese, vor allem die Augenglasbestimmung, hinweisen. Aus diesen persönlichen Gesprächen erwächst das Vertrauen in unsere Arbeit als Augenoptiker. Im vorliegenden Fall musste auf die Benetzung der Cornea während der Messung besonders geachtet werden. Die Augenprüfung fand nach der klassischen Art und mit der Refraktionsmeßbrille statt.

Kriterien zur Auswahl einer geeigneten Fassung: Die wichtigste Eigenschaft muss neben dem guten und bequemen Sitz auf der Nase, die anatomische Anpassbarkeit hinter den Ohren, auch die Kittbarkeit sein. Alle versorgten Kunden waren beim Abholen der Brillesehr überrascht wie dezent die angepasste Kammer aussieht. Aus der Ferne ist das helle Material fast unsichtbar. Das Plattenmaterial beziehen wir von der Firma Breitfeld & Schlieckert.

Brillengläser: Aufgrund des Tränenmangels besteht oft eine erhöhte Blendempfindlichkeit. Wir beraten unsere Kunden und helfen bei der richtigen Glasauswahl. Dabei sind Kunststoffgläser immer das Mittel der esrten Wahl. Der UV-Schutz und das geringe Gewicht sind die entscheidenden Beratungsargumente. Wegend der erhöten Blendungsneigung, verglasen wir die Fassungen mit phototrophen Gläsern. Konstante 12%-ige Tönungen sind genauso denkbar, wie 75%-ige Tönungen. Den richtigen Focustyp finden und zeigen wir während der Augenglasbestimmung. Sollte sich nach einer gewissen Zeit eine andere Refraktion einstellen, ist die angepasste Feuchte Kammer immer wieder neu verglasbar.

Herstellung und Montage der Feuchten Kammer: Nachdem wir die richtige Fassung gefunden und angepasst haben, messen wir die Abstände der Fassung zum Orbitarand. Diese Maße sind für das Aufkitten der Kammer in unserer Werkstatt und die anatomische Anpassung wichtig. Das zu viel verwendete Material wird später mit einem Seitenschneider abgetragen. Sie sparen sich viel Zeit, wenn sie vorher gewissenhaft die Abstände messen.

Anpassung an den Kunden: Nach ca.1 Woche ist die Fassung verglast und das 1 mm dicke Plattenmaterial aufgekittet. Dann vereinbaren wir einen Abholtermin, der ca. 1 Stunde in Anspruch nimmt. Während dieser Zeit setzt der Kunde die Brille immer wieder auf und wir tragen das Material mit einem Seitenschneider und einer Feile ab. Das Ziel ist ein bequemer Sitz auf der Nase und ein enganliegender Verlauf der Kammer an der Orbita. Zum Schluss werden alle scharfen Kanten abgetragen.  

Bild 3: feuchte Kammer vor der anatomischen Anpassung
Bild 4: feuchte Kammer nach der anatomischen Anpassung

Kostenträger:

Über einen Kostenvoranschlag an die zuständige Krankenkasse wird die Kostenübernahme geklärt. In Einzelfällen finden Betroffene auch eine finanzielle Unterstützung bei der Leukämiestiftung.

Weitere Erkrankungen bei denen eine Anpassung indiziert ist: Verätzungen mit Laugen und Säuren, Sicca-Syndrom, u. ä.

Zusammenarbeit: Uniklinik Freiburg – Abteilungen: Tumorbiologie, Augenheilkunde, diverse Krankenkassen

Literatur:

Dr. A. Berke, Allgemeinerkrankungen und das Auge, DOZ Verlag, 2. Auflage,

Kanski J. Klinische Ophthalmologie:Lehrbuch und Atlas. Urban & Fischer Verlag, 6. Auflage, 2008

Vielen Dank dem wissenschaftlichen Gremium der DOZ und der Augenambulanz der Universitätsklinik Freiburg für die hervorragende Zusammenarbeit.

Autor:

Randy Freitag

– GermanEyeCare –

Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland

EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker

veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung -  9/2010