Chronische Niereninsuffizienz und Auge

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Augenglasbestimmung bei chronischer Niereninsuffizienz

Anamnese:

Eine 62 Jahre alte Rentnerin möchte sich über verschiedene Korrektionsgläser informieren, von denen sie in einer Frauenzeitschrift gelesen hat. Sie ist in letzter Zeit so„schlapp“, könnte sich morgens kaum noch zu etwas aufraffen und leidet unter starker Tagesmüdigkeit. Alles fiele ihr schwer, mitunter sei ihr etwas übel oder sie habe dumpfe Kopfschmerzen, „aber nicht mehr so schlimm wie früher“. Auf Nachfrage erklärt die Kundin, dass sie von ihrem 13. Lebensjahr bis zum Einsetzen der Menopause zwei, drei schwere Migräneanfälle im Monat erleidet. Sie habe „alles“ ausprobiert, doch geholfen hätten immer nur Schmerztabletten oder –zäpfchen. Des Weiteren berichtet sie über Veränderungen im familiären Umfeld, welche sie besonders betroffen hat. Die Kundin ernährt sich immer gesund, trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. Jedoch muss sie 3-mal in der Woche zur Dialyse (Blutwäsche). Sie leidet aufgrund der Jahrzehntelangen Schmerzmitteleinnahme an einer chronischen Niereninsuffizienz. Während der ca. 4-stündigen Therapie liest sie im Bett oder sieht vom Bett aus das Fernsehprogramm. Mit ihrer einfachen Lesehilfe hat sie sich so gut wie möglich geholfen. Aber das Sehen verändert sich während der Dialyse, so dass die Verwandten immer von den „teuren“ Brillen abgeraten haben. Nun hat sich das Sehen so verschlechtert, dass die einfache Versorgung weder beim Lesen, noch beim Fernsehen hilft.

Befunde:

Bei der optometrischen Untersuchung konnten leichte Calciumablagerungen in der Hornhaut (kalzifizierte Banddegeneration), eine schwache Katarakt, eine leicht ausgeprägte Ptosis und Netzhautdegenerationen festgestellt werden. Ophthalmoskopisch lassen sich im rechten Auge Netzhautveränderungen nachweisen, deren Ursache eine erlittene Netzhautablösung war. Die Unterlider sind geschwollen und beide Bindehäute wirken blass. Die Kontrastempfindlichkeit ist bei höheren Ortsfrequenzen herabgesetzt. Die subjektive Refraktion ergab folgende Werte:

Ferne: R.sph-5,00 cyl +1,00 A 95° Vcc 0,08    Nähe: Add. 3,0

          L.sph-6,00 cyl +2.00 A 72° Vcc 0,4                 Add. 3,0 für 33cm Vcc 0,4-

Bild 1: Venenzugang für die Dialyse (Shunt)

Diagnose:

Die Patientin leidet an einer Schmerzmittelverursachten, chronischen Niereninsuffizienz mit einer Beteiligung beider Augen.

Behandlung:

Die Kundin versorgten wir mit einer Fern- und Lesebrille. Dadurch ist die optimale Ausnutzung des Gesichtsfeldes in der Sehsituation – Lesen, bzw. Fernsehen im Bett – gewährleistet. Die Fassungen wurden groß genug gewählt und auf eine höhere Stabilität geachtet. So kann die Kundin mit der Brille auf der Nase einschlafen, ohne dass sie sich verletzt oder die Brille gleich beschädigt wird. Zur besseren Unterscheidung der Fern- oder Lesebrille montierten wir andersfarbige Cellenden. Kleinere Schriften kann sie mit der Kombination: Lesebrille und Handlupe mit Beleuchtung lesen. Die Lupe konnte mit einer schwachen Vergrößerung (2,5x) angepasst werden, dadadurch bleibt ein größerer Ausschnitt zum Lesen bestehen.

Bild 2: hängendes Oberlid (Ptosis)

 Diskussion:

Die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln zählt zu den häufigsten Ursachen des Nierenversagens in Deutschland. Die meisten Schmerzmittel wirken, indem sie die Bildung von Prostaglandinen unterdrücken, einer körpereigenen Substanz, die wesentlich für die Entstehung von Schmerzen ist. Prostaglandine regulieren aber auch die Durchblutung der Nieren, weshalb chronischer Schmerzmittelmissbrauch zu Nierenschäden führen kann. Die Nieren wirken über die Bildung von Vitamin D Vorstufen auch auf den Calciumhaushalt des Körpers. Ein Nierenversagen führt daher häufig zum Verlust von Calcium aus den Knochen, welches sich dann bevorzugt in den Weichteilen des Körpers einlagert. Hiermit lässt sich die Bandkeratopathie der Patientin erklären. Die Nieren wirkt über das von ihr produzierte Renin auch auf die Regulation des Blutdrucks ein. Der erhöhte Blutdruck und die dadurch verursachten Netzhautschäden finden so ihre Erklärung. Dialysepatienten klagen häufig über neurologische Veränderungen, die auch zu Sehstörungen führen können. Die anomale Zusammensetzung des Blutes gilt als Ursache dieser Auffälligkeiten; eine mehrstündige Dialyse kann das Sehen wieder deutlich verbessern. Während der Dialyse werden dem Körper in kurzer Zeit große Mengen Harnstoff entzogen. Eine Ausnahme bildet die Augenlinse, aus der der Harnstoff nicht ungehindert austreten kann. Bedingt durch die Differenz der Harnstoffkonzentration zwischen Kammerwasser und Linse stellt sich ein Wassereinstrom in die Linse ein, wodurch sich die optischen Parameter der Linse verändern. Die hieraus resultierenden Brechwertänderungen sind die Ursache für mögliche Brechwertänderungen der Linse und damit auch Refraktionsänderungen des Auges.

Fazit:

Mit der durchgeführten Augenglasbestimmung und der Brillenversorgung konnten die Sehbeschwerden auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Sie kann jetzt wieder ihre Quizshows während der Dialysetherapie besser verfolgen und ist nicht mehr so erschöpft. Das Lesen macht ihr auch wieder mehr Freude.

Autor:

Randy Freitag

– GermanEyeCare –

Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland

EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker

veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung - 12/2011