Toxoplasmose und Auge

Toxoplasmose - Ein Praxisfall

Optometrische Versorgung bei Toxoplasmose

Anamnese:

Eine 28-jährige Frau stellt sich aufgrund einer Empfehlung durch die Unfallchirurgische Ambulanz eines Freiburger Krankenhauses vor. Die Patientin erleidet seit Jahren immer wieder Stürze an Treppen, Bordsteinkanten und für Freiburg typischen Bächle. In ihrem sozialen Umfeld gilt sie als tollpatschig und fühlt sich dadurch sehr unsicher. Freizeitsport wie Joggen oder Fahrradfahren hat sie ganz aufgegeben. Die Patientin leidet seit frühester Kindheit an einem progressiven Strabismus convergens und einer damit verbundenen Amblyopie. Bei der Anamnese erwähnte sie beiläufig, eine Toxoplasmose.

Befund:

Bei der optometrischen Untersuchung wurden zentrale und periphere Gesichtsfeldeinschränkungen und ein Strabismus convergens mit einer Amblyopie ermittelt. Der Motilitätstest lässt keine Dextroversion und nur eine geringe Lävoversion des linken Auges zu. Die anderen anderen diagnostischen Blickrichtungen konnten ebenfalls nur mit Einschränkung geprüft werden. Am rechten Auge war die Dextrodepression auffällig. DiePerimetrie bestätigte das ophthalmologische Netzhautbild und die Ergebnisse des Motilitätstest. Die Fundusfotografie zeigte auf beiden Netzhäuten ein vernarbtes Netzhautgewebe. Am rechten Auge konnte bei optimaler Korrektion eine sehr gute zentrale Sehleistung erzielt werden. Die Refraktionsdaten beider Augen für die Ferne sind: R: sph-2,25 cyl +0,75 A   73°    Vcc  1,20 L:  sph-1,75 cyl +0,50 A 130°    Vcc 0,15

Bild 1: Strabismus convergens des linken Auges

Diagnose:

Das Schielen und die Gesichtsfeldeinschränkungen sind die Folge einer kongenitalen Toxoplasmose. Die Mutter der Kundin infizierte sich im Spätstadium ihrer Schwangerschaft mit dem Erreger Toxoplasma gondii. Zum heutigen Zeitpunkt zeigen sich bilaterale, verheilte, chorioretinale Narben mit einem subklinischen Krankheitsbild. Im linken Auge ist die zentrale Netzhaut vernarbt, weshalb hier keine foveoläre Fixation möglich ist. Die Kundin fixiert mit einer parazentralen Netzhautstelle, wodurch die geringe Sehschärfe und die Schielstellung des linken Auges zu erklären sind.

Bild 2: Fundus des rechten Auges. Die chorioretinale Narbe liegt so weit in der Peripherie der Netzhaut, dass die Sehschärfe und das zentrale Gesichtsfeld nicht beeinträchtigt sind.
Bild 3: Fundus des linken Auges. Die zentrale Netzhautnarbe ist die Ursache für die Gesichtsfeldeinschränkung, den Strabismus convergens und die Amblyopie des linken Auges.

Behandlung:

Bei der klassischen Augenglasbestimmung wird immer das Ziel eines optimalen zentralen Visus verfolgt. Im vorliegenden Fall ist aber das periphere Sehen mit dem linken Auge nicht zu unterschätzen. Aus Sicherheitsgründen wurde hier kein Ausgleichglas, sondern die Glasstärke mit dem ein gutes, peripheres Sehen möglich ist, verordnet. Die Kundin erhielt eine Fernbrille mit Gläsern aus Polycarbonat. Die Fassung wurde bewusst nicht zu klein ausgewählt, um eine zusätzliche Gesichtsfeldeinschränkung nach unten zu verhindern. Die zarte Titanfassung erfüllt die kosmetische Vorstellung der Kundin und gewährleistet einen guten Schutz der Augen vor UV-Strahlung, kombiniert mit einem sehr geringen Gewicht. Das Verletzungsrisiko durch Zerbrechen der Gläser kann durch das Material Polycarbonat vernachlässigt werden.

Diskussion:

Die Toxoplasmose ist eine durch den Einzeller Toxoplasma gondii übertragene Erkrankung, die in der Regel einen harmlosen Verlauf nimmt. Häufig läuft die Krankheit auch ohne erkennbare klinische Symptome ab. Toxoplasma ist ein Einzeller, der in Geweben zahlreicher warmblütiger Tiere vorkommt. Als wichtigster Überträger gilt für den Menschen die Katze. Rohes oder ungenügend erhitztes Schweinefleisch gilt ebenfalls als ein wichtiger Übertragungsweg für die Toxoplasmose. Die Durchseuchung mit dem Erreger ist hoch. Pro Lebensjahrzehnt wird mit einem Anstieg der Durchseuchungsrate von 10 % gerechnet. Rund zwei Drittel aller über 60-Jährigen sind mit dem Erreger infiziert. Eine pränatale Toxoplasmose liegt vor, wenn eine Schwangere erstmalig während der Schwangerschaft an der Toxoplasmose erkrankt. Infektionen in der Frühphase der Schwangerschaft nehmen einen deutlich schwereren Verlauf als in der Spätphase der Schwangerschaft. Man geht von ungefähr 3 Fällen einer pränatalen Toxoplasmoseauf 1000 Lebendgeburten aus. Zu den Komplikationen, die hier auftreten können, zählen neben der Totgeburt auch ein Wasserkopf (Hydrocephalus), Verkalkungen im Gehirn und Schädigungen der Augen. Wird ein Kind mit pränataler Toxoplasmose klinisch gesund geboren, so können auch nach Jahren noch Augenschäden bis hinzur Erblindung auftreten. Die postnatale Toxoplasmose tritt erstmalig nach der Geburtauf. Es kommt hierbei zu leichtem Fieber, Mattigkeit, Kopfschmerzen im Stirnbereich, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Durchfall.

Fazit:

Die Diagnose Toxoplasmose stellt eine Veränderung der Lebensumstände dar. Ähnlich anderer Netzhauterkrankungen ist ein bewusster Umgang mit den Gesichtsfelddefekten notwendig. Wichtig ist die Aufklärung der Patienten. Im Prinzip ist der Kunde funktionell einäugig. Der Schutz des gut sehenden Auges stellt das wichtigste Kriterium für die anatomische Brillenanpassung dar. Der progressive Strabismus convergens wird durch einen niedergelassenen Augenarzt, in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Freiburg und einer Orthoptistin beobachtet. Eventuell findet in den nächsten Jahren eine kosmetische Augenmuskelchirurgie statt, um so ein „Abwandern“ der Pupille über den medialen Lidwinkel zu verhindern. Für die versorgte Kundin erwiesen sich unser Gespräch und die Auswertung der optometrischen Messungen als völlig neue Erkenntnis über ihre Netzhauterkrankung. Hierbei konnten die Zusammenhänge von Stürzen und den Gesichtsfelddefekten verdeutlicht werden. Die größere Brillenfassung brachte zusätzliche Sicherheit im Alltag.

Autor:

Randy Freitag

– GermanEyeCare –

Hoffmannoptik e.K. – Augenoptisches Kompetenzzentrum im Markgräflerland

EurOptom, Augenoptiker-Meister, Heilpraktiker

veröffentlicht: Deutsche Optikerzeitung - 4/2011